
Bereits zum dritten Mal machten sich deutsche Führungskräfte auf den Weg nach Sibirien, um einen spannenden und wachsenden Markt kennen zu lernen und Kontakte zu russischen Unternehmen zu knüpfen. Doch bevor es mit dem Flugzeug gen Osten ging, drückten die deutschen Geschäftsleute erst die Schulbank. Die GIZ brachte ihnen Land und Leute näher. Denn: „Gute Vorbereitung ist alles“. Sinan Sat von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung hat die deutsche Delegation begleitet. Ein Reisebericht.
Markus Szirmay richtet seine Krawatte und zupft sein Jackett zurecht. Er hat letzte Nacht nicht viel geschlafen, ist ein bisschen müde. Jetzt ist aber keine Zeit für ein Nickerchen. Szirmay hat ein Date. Wenn alles läuft wie geplant, bleibt es nicht bei diesem einen. Er atmet durch, konzentriert sich und betritt einen großen Konferenzraum in einem Hotel in Novosibirsk. 50 Männer und Frauen sitzen an Zweiertischen, breiten Kataloge aus und warten auf den Startschuss. Käufer und Verkäufer, Produzenten und Dienstleister, Fleischfabrikanten und Gitarrenhändler aus Deutschland und Russland treffen sich zum Speed-Dating. 15 Minuten haben sie Zeit, um ihren Gegenüber von ihrem Produkt zu überzeugen, dann ziehen die Gesprächspartner zum nächsten Tisch. Tausende Kilometer Anreise hat Szirmay für dieses Zusammentreffen auf sich genommen. Er weiß, der erste Eindruck ist wichtig. Der deutsche Unternehmer ist gut vorbereitet, er hat im Vorfeld ein dreitägiges Russland-Seminar absolviert und sich dabei mit der russischen Geschäftskultur vertraut gemacht. Potentielle künftige Geschäftspartner begrüßt er auf Russisch.
Der Diplom-Ingenieur will in Sibirien Industrieventilatoren verkaufen. Er kennt den sibirischen Markt. 2010 hat er als einer der ersten deutschen Unternehmer an einer Managerfortbildung teilgenommen, die die deutsch-sibirischen Handelsbeziehungen verbessern soll. Allein in Sibirien waren seither 65 deutsche Unternehmer, im gesamten Land über 300. 70 Prozent der Unternehmen, die bei diesem Programm mitgemacht haben, stehen seitdem in einer dauerhaften Geschäftsbeziehung mit russischen Partnern.
Wachstumschancen in Sibirien
„Gerade in Sibirien liegen große Wachstumspotentiale für die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Unternehmen. Der rohstoffreiche Osten Russlands stand früher nicht besonders im Fokus der deutschen Wirtschaft, aber das ändert sich langsam“, sagt Olga Kolesova, die im Auftrag der russischen Regierung das Fortbildungsprogramm in Sibirien organisiert.
Kolesova sieht zufrieden aus. Die letzte von zehn Dating-Runden neigt sich gerade ihrem Ende. Hunderte Visitenkarten wurden ausgetauscht, rund 200 Gespräche geführt. Wie viele Geschäfte am Ende abgeschlossen werden, wird die Russin in einigen Monaten abfragen. Im vergangenen Jahr seien nach der Kontaktbörse rund 20 Verträge unterzeichnet worden.
Markus Szirmay ist ebenfalls zufrieden. „Es waren zwar nicht alle Firmen da, die für mich interessant sind, trotzdem habe ich einige Gespräche geführt. Bei einem habe ich ein ganz gutes Gefühl. Ich glaube, mein Gesprächspartner wird sich schon bald bei mir melden“, sagt der 50-Jährige. Seiner Geschäftsführung will er nach seiner Rückkehr vorschlagen, für den Vertrieb in Russland neue Mitarbeiter einzustellen, die über Landes- und Sprachkenntnisse verfügen. Nicht zuletzt in dem Vorbereitungsseminar hat er gelernt, wie sehr russische Geschäftsleute einen direkten Ansprechpartner schätzen, zu dem sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. „Daran hat es bisher bei uns gehapert“, sagt Szirmay.
Von den Erfahrungen anderer profitieren
Er lockert seine Krawatte und schaut auf den Programmplan. Als nächstes steht ein Besuch der deutschen Unternehmerdelegation beim Fensterrahmenhersteller Veka Rus an. Das Unternehmen hat seinen Stammsitz im nordrhein-westfälischen Sendenhorst. Seit 2004 produziert Veka auch in Novosibirsk. „Der Standort ist aus logistischen Gründen eine geniale Entscheidung unserer Geschäftsleitung gewesen“, sagt Filialleiter Andrey Jermaschow. „Von hier aus beliefern wir als Marktführer den ganzen Osten Russlands.“ Der Rasen vor den Toren des modernen Unternehmensgebäudes ist säuberlich gemäht, die deutsche und russische Fahne wehen im milden sibirischen Spätsommerwind. Auf der anderen Straßenseite steht ein riesiger Industriekomplex mit zerbrochenen Fensterscheiben. Die Gebäude sehen aus, als sei hier schon lange vor dem Ende der Sowjetunion nichts mehr produziert worden. Tatsächlich aber stellt hier eine russische Firma Futter für die Schweinezucht her. Jermaschow weiß um den starken Kontrast der Bilder und welche Gedanken und Zweifel sie in den deutschen Unternehmern hervorrufen. „Sauberkeit, Ordnung, Arbeitsschutz – alles nach deutschem Vorbild“, antwortet er ungefragt und bittet die deutschen Führungskräfte zu einem zweistündigen Firmenrundgang zu Veka Rus. Nach rund zwei Stunden sind sie überzeugt. Die Investitionen des deutschen Unternehmens haben sich gelohnt. Das Werk, ausgerüstet mit Maschinen „Made in Germany“, arbeitet effizient. „Die Umgebung drum herum darf nicht abschrecken. Gute und wirtschaftliche Produktion ist ganz offensichtlich auch in Sibirien möglich“, sagt eine deutsche Unternehmensberaterin.
Kontakte zu Entscheidungsträgern
Die Delegation steigt in den Bus. Das nächste Meeting steht an. Der Gouverneur der Region Novosibirsk, Wasilij Yurtschenko, hat eingeladen. „Das sind die Vorteile, die nur dieses Programm mit sich bringt“, sagt Alex Renner, der für eine deutsche Consultingfirma an der Fortbildung teilnimmt. „Man lernt Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft kennen, an die man sonst nicht so einfach dran kommt, und gute Kontakte sind das A und O im Geschäft.“
Auf dem Weg ins Regierungsgebäude bekommt Markus Szirmay eine E-Mail. Sein Gesprächspartner vom Vormittag, der, bei dem Szirmay „ein ganz gutes Gefühl“ hatte, will mehr über die Industrieventilatoren erfahren. Der Deutsche ist zufrieden.
Nach dem Treffen mit dem Gouverneur macht sich Markus Szirmay auf den Weg ins Hotel. Morgen steht ihm und den anderen Unternehmern wieder ein langer Tag bevor. Einige von ihnen werden nach Altaj fahren, einer Region, die von Maschinenbau und Landwirtschaft geprägt ist. Andere fahren nach Tomsk, das reich an Erdöl und Erdgas ist. Szirmay fährt in die Bergbauregion Kemerowo. Der Ingenieur glaubt, hier Interessenten für seine Industrieventilatoren finden zu können.




